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Doping, Missbrauch, Betrug bei Nike? Eine Marathon-Läuferin klagt an
Buchtipp: „The Longest Race: Inside the Secret World of Abuse, Doping, and Deception on Nike's Elite Running Team“
„The Longest Race: Inside the Secret World of Abuse, Doping, and Deception on Nike's Elite Running Team“ (264 Seiten, von Kara Goucher in 2023)
Es gab ein paar Jahre, da war ich von nichts so besessen wie vom Langstreckenlaufen. Wenn in Zagreb 800 Meter gelaufen wurden, kannte ich die Starter. Wenn Felix Sanchez über 400 Meter Hürden am Start war, wusste ich, wie viele Rennen er ungeschlagen war. Besonders besessen war ich von allen Rennen von 1500 Meter an aufwärts bis zum Marathon.
Sonntagmorgen um 9 Uhr London-Marathon? Der Fernseher lief von Kilometer 1 bis 42. In meinem Zimmer hingen damals Poster von Naoko Takahashi und Paula Radcliffe. Und um Euch das Googlen zu ersparen: Das waren zwei der dominierenden Marathon-Läuferinnen der frühen und mittleren 2000er Jahre.
In dieser Zeit war auch Kara Goucher eine der besten Langstrecken-Läuferinnen der Welt. 2007 gewann sie bei der Weltmeisterschaft in Osaka über 10.000 Meter Silber. In den Jahren danach stand sie auf dem Podium bei den Marathons in New York und Boston.
Goucher war einige Jahre lang die wohl prominenteste Läuferin in den USA, Nike warb mit ihr auf hochhausgroßen Plakaten. Wie kaputt es hinter diesem Hochglanz-Leben zugeht, hat Goucher vor wenigen Wochen in einem neuen Buch beschrieben. „The Longest Race“ gibt einen absolut ungeschönten Einblick in die Kultur des damals berühmtesten Laufteams der Welt, des „Nike Oregon Project“.
„The truth is, running often attracts a personality type that gets high off extrem discipline. On the upside, this kind of discipline can help us stick with rigorous training, but it can also go hand in hand with the numerology of eating disorder. […] The idea that I could control my life, or even my race results, by controlling my eating was an illusion. It wasn’t “mastery” over something in a world of chaos. It was harmful to my brain and body. It could have killed me.“
Goucher beschreibt ihren eigenen Weg in den Sport – und wie sie sich immer stärker in das Eliteprojekt von Nike hat hereinziehen lassen. Wie sie von ihrem Trainer zunächst gedemütigt und schließlich missbraucht wurde. Wie sie Indizien sammelte dafür, dass Ihre Kollegen möglicherweise dopen. Wie unmenschlich sie von Nike auch finanziell während ihrer Schwangerschaft behandelt wurde. Und wie sie die Karriere als Profisportlerin fast kaputt gemacht hätte.
Das Buch ist sehr gut erzählt – dank der früheren New York Times- und Wall Street Journal-Journalistin Mary Pilon, die das Buch mit Goucher geschrieben hat.
Über das Nike Oregon Project und seinen berüchtigten Ex-Trainer Alberto Salazar gab es in den vergangenen Jahren bereits sehr viel Berichterstattung, sehr viel auch über die Doping- und Missbrauchs-Vorwürfe. 2019 hat Nike das Programm schließlich gestoppt. Kurz danach berichtete das Lauftalent Mary Cain in der New York Times über ihre Erfahrungen. „I Was the Fastest Girl in America. Until I Joined Nike“ ist ein extrem beeindruckendes, siebenminütiges Video (mit einem großartigen Titel).
Vor ein paar Monaten hatte ich in „Sachbuchliebe“ schon einmal die besten deutschen Sportbücher empfohlen, die ich bisher gelesen habe (darunter „The Great Nowitzki“ und „Mroskos Talente“). Dann habe ich über Andrea Petković’ Tennis-Buch „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ geschrieben und auch noch einen Sportbuch-Klassiker empfohlen, „The Amateurs“ von David Halberstam.
Diskutiert gerne mit mir in den Kommentaren oder in den sozialen Medien über die Bücher – oder empfehlt mir weitere, die ich auf die Liste nehmen sollte. Falls Euch „Sachbuchliebe“ gefällt, leitet diesen Beitrag gerne an Freund*innen, Kolleg*innen und Verwandte weiter oder teilt ihn in den sozialen Medien.
Vielen Dank, viel Spaß beim Lesen und auf bald
Daniel
(PS: Hier findet Ihr nochmal ein paar Worte über die Idee dieses Newsletters und was Euch in den kommenden Ausgaben erwarten wird.)