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Wie die Chemieindustrie mit Lügen darum gekämpft hat, ein tödliches Gift zu verkaufen
Buchtipp: „How to Sell a Poison: The Rise, Fall and Toxic Return of DDT“
„How to Sell a Poison: The Rise, Fall and Toxic Return of DDT“ (381 Seiten, von Elena Conis in 2022)
Nicht weit von der Insel Santa Catalina vor der Küste Kaliforniens, in einem Meer voller Taucher, Fischer, Seetang-Wäldern und Walen, bemerkt David Valentine ein ungewöhnliches Signal, das ihm einen Schauer über den Rücken jagt.
Valentine, Wissenschaftler an der UC Santa Barbara, ist eigentlich unterwegs, um Methan-Quellen zu untersuchen. Doch jetzt, wo er ohnehin einen geliehenen Unterwasser-Roboter zur Verfügung und ein paar Stunden Zeit übrig hat, will Valentine seine Chance ergreifen. Er will einem Umweltskandal nachspüren, für dessen Aufdeckung jahrzehntelang die technischen Mittel fehlten. Er jagt ein Bauchgefühl.
Und tatsächlich, erste Schallsignale zeichnen eine Reihe von Punkten auf einer Karte, wie eine Spur Brotkrumen. Der Roboter ist inzwischen rund 1000 Meter tief im Wasser, auf dem Meeresgrund. Helle Strahler und eine Kamera grasen langsam den Boden ab. In dieser Tiefe und Dunkelheit fühlt sich die unbekannte Landschaft so gespenstisch an wie eine Fahrt durch eine Wüste bei Nacht.
Und dann entdeckt Valentine die Fässer.
Fässer, gefüllt mit giftigen Chemikalien, die seit Jahrzehnten verboten sind.
Undicht.
Und über den Meeresboden verteilt.
„Verdammt, es gibt sie tatsächlich“, sagt Valentine. „Dieses Zeug ist wirklich hier unten. Es war die ganze Zeit hier, direkt vor unserer Küste.“
So beginnt eine Recherche in der Los Angeles Times im Jahr 2020. Autorin Rosanna Xia enthüllt, wie Wissenschaftler vor der Küste Kaliforniens abertausende, undichte Fässer mit der Chemikalie DDT finden. Die Fässer sind Jahrzehnte vorher von der Firma Montrose dort entsorgt worden, einer Firma, die heute dem Bayer-Konzern gehört. Der Rechtsstreit darüber, wer sich um die Beseitigung der Gifte kümmern muss, zieht sich seit Jahren.
Wie kann es sein, dass im Jahr 2020 tausende Fässer des hochgiftigen Chemikalie DDT vor der Küste Kaliforniens liegen? Was hat es mit DDT überhaupt auf sich? Wer hat die Chemikalie damals warum verbreitet? Wann war klar, dass sie giftig ist und wer hat mit welchen Mitteln wie hart dafür gekämpft, dass sie trotzdem lange nicht verboten wird?
Das Buch „How to Sell a Poison“ der Historikerin und Journalistin Elena Conis beschreibt sehr genau, mit welchen Methoden Industrie und von der Industrie bezahlte NGOs und Wissenschaftler über Jahrzehnte versucht haben, das giftige Pestizid im Markt zu halten. Conis beschreibt anhand zahlreicher Protagonist*innen, was das für Betroffene bedeutet. Und wie sich Umweltaktivist*innen und Wissenschaftler letztlich doch erfolgreich gegen die Industrie zur Wehr gesetzt haben, trotz aller Versuche die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diskreditieren.
Das Buch ist trotz für meinen Geschmack etwas vieler Protagonist*innen gut erzählt. Und es öffnet den Blick in eine mir unbekannte Vergangenheit. Mir war zum Beispiel nicht klar, wie exzessiv gerade die USA das Pestizid DDT über Jahre eingesetzt haben, etwa um Malaria auzurotten, wie ganze Städte damit eingenebelt wurden, wie Flugzeuge die Pestizide über ganze Landstrichen verteilt haben.
Viele der von Conis beschriebenen Taktiken lassen sich auch in anderen Bereichen erkennen, in der Verteidigung anderer Stroffe durch die Chemieindustrie finden, bis heute. Ich persönlich finde, dass viel zu wenig über die Schäden berichtet wird, die große Chemiefirmen über die Natur und uns Menschen gebracht haben und immer noch bringen. Dieses Buch ist eine gute Inspiration, mehr solcher Recherchen anzustoßen – und sich mehr mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.
Ich bin großer Fan solcher Bücher über Umweltskandale. Zwei meiner absoluten Lieblingsbücher sind zum Beispiel „A Civil Action“ von Jonathan Harr und „Toms River“ von Dan Fagin, die ich in einem früheren Newsletter schon einmal etwas ausführlicher mit-empfohlen hatte.
Diskutiert gerne mit mir in den Kommentaren oder in den sozialen Medien über die Bücher – oder empfehlt mir weitere, die ich auf die Liste nehmen sollte. Falls Euch „Sachbuchliebe“ gefällt, leitet diesen Beitrag gerne an Freund*innen, Kolleg*innen und Verwandte weiter oder teilt ihn in den sozialen Medien.
Vielen Dank, viel Spaß beim Lesen und auf bald
Daniel
(PS: Hier findet Ihr nochmal ein paar Worte über die Idee dieses Newsletters und was Euch in den kommenden Ausgaben erwarten wird.)
Wie die Chemieindustrie mit Lügen darum gekämpft hat, ein tödliches Gift zu verkaufen
Das klingt nach einem richtig guten Buch, ich bin gespannt darauf. Was du zu den vielen Protagonist*innen schreibst, gibt mir allerdings zu denken. Ich fand es im YouTube-Buch schon so anstrengend, mich mit den Lebensgeschichten SO vieler Menschen beschäftigen zu müssen. Hoffentlich wird das kein Trend.