Wie der Chef der Washington Post die Trump-Jahre erlebte
Buchtipp: "Collision of Power: Trump, Bezos, and the Washington Post"
"Collision of Power: Trump, Bezos, and the Washington Post" (478 Seiten von Martin Baron, in 2023)
As journalists, we can never stop obsessing over how to get at the truth – or, to use a less lofty term, “objective reality.” Doing that requires an open mind and rigorous method. We must be more impressed with what we don’t know than with what we know, or think we know. We should not start our work by imagining we have the answers; we need to seek them out. We must be generous listeners and eager learners. We should be fair. And by that, I include being fair to the public: Report directly and fearlessly what we find to be fact.
Martin „Marty“ Baron ist einer der berühmtesten Chefredakteure der Welt. Seit er im Film „Spotlight“ über die Recherchen des Boston Globe zum Missbrauch in der katholischen Kirche von Liev Schreiber gespielt wurde, ist er unter Journalist*innen eine Art Legende. Er war Chefredakteur des Miami Herald, des Boston Globe und von 2012 bis 2021 der Washington Post. Unter seiner Führung haben Redaktionen zahlreiche Pulitzer-Preise gewonnen, er hat war bei der Post für die Veröffentlichung der Snowden-Dokumente über die NSA verantwortlich – und er war gerade Chefredakteur geworden, als Jeff Bezos die Washington Post gekauft hat.
Ich war lange großer Fan von Marty Baron und habe viele seiner Interviews gehört. Weil er in seinen Redaktionen ambitionierten, investigativen Journalismus möglich gemacht hat. Und weil er immer wieder – wie in obigem Zitat aus seinem Buch – gute, klare Worte gefunden hat, um seinen Reporter*innen und dem Journalismus insgesamt den Rücken zu stärken.
Der Film Spotlight ist ein gutes Beispiel: Baron war gerade wenige Tage beim Bosten Globe, als er sein Investigativ-Team bat, im erzkatholischen Boston doch bitte den Missbrauchsvorwürfen gegen die katholische Kirche nachzugehen. Später, in den Trump-Jahren, warf der extrem rechte Präsident den Medien vor, „at war“ mit ihm, Amerika, den Bürgern zu sein. Die Presse war für Trump „The Enemy of the People“. Baron konterte klar und deutlich: „We’re not at war, we’re at work.“ Und unter ihm gab sich die Washington Post ihr sehr bald weltberühmtes, neues Motto: „Democracy Dies in Darkness“.
Gleichzeitig gab es um Baron in den letzten Jahren seiner Chefredakteurszeit immer wieder kleinere Querelen: Gerade jüngere, progressivere Reporter*innen hatten ein Problem mit seinen extrem restriktiven Vorgaben, was die Nutzung von Social Media und angeblich schädigende, persönliche Meinungsäußerungen angeht. Einige prominente Reporter*innen haben deshalb die Zeitung frustriert verlassen .Schließlich hat Baron auch deshalb irgendwann, ein wenig vor der geplanten Verabschiedung ins Rentenalter, das Handtuch bei der Washington Post geworfen.
Unbestritten bleibt: Baron hat eine wahnsinnig spannende Karriere als einer der einflussreichsten Journalisten der USA gehabt. Und er hat hautnah erlebt, wie es war, als Amazon-Chef Jeff Bezos – damals der reichste Mann der Welt – die Washington Post übernahm. In seinem Buch beschreibt er auch sehr detailliert die Aufeinandertreffen mit Bezos und die Auseinandersetzungen mit ihm, mit seinen Vorgesetzten bei der Post, mit seinen Mitarbeiter*innen, aber auch mit Donald Trump und mit der Öffentlichkeit. Er beschreibt, wie er versucht hat, die Washington Post durch herausfordernde Jahre zu steuern. Das ist für Journalist*innen wahnsinnig spannend, aber auch für alle anderen, die an Medien und ihrer Arbeit interessiert sind.
Etwas zu lang waren mir persönlich nur die Passagen, in denen Baron konkrete Veröffentlichungen und Entwicklungen unter Trump nachzeichnet – dafür habe ich die vergangenen Jahre die amerikanische Politik und den Journalismus der Washington Post zu eng begleitet. 100 Seiten weniger hätten es deshalb vermutlich auch getan.
Im Frühjahr habe ich selbst ein narrativ erzähltes Sachbuch veröffentlicht, gemeinsam mit Lena Kampf: „Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie“. Wer diesen Newsletter und meine Arbeit unterstützen möchte, der kann das Buch (am besten im lokalen Buchhandel) bestellen.
Diskutiert gerne mit mir in den Kommentaren oder in den sozialen Medien über die Bücher – oder empfehlt mir weitere, die ich auf die Liste nehmen sollte. Falls Euch „Sachbuchliebe“ gefällt, leitet diesen Beitrag gerne an Freund*innen, Kolleg*innen und Verwandte weiter oder teilt ihn in den sozialen Medien.
Vielen Dank, viel Spaß beim Lesen und auf bald
Daniel
Danke für die Rezension. Als langjähriger Abonnent der WP, reizt mich das Buch sehr. Auch vor dem Hintergrund, dass ich mir Sorgen um die Zukunft der Zeitung mache.