Fünf richtig gute Sachbücher über Medizin
Von Rassismus in der Medizin, über Krebs, Gene und Schizophrenie bis zur Triage
The Immortal Life of Henrietta Lacks (von Rebecca Skloot in 2010)
Dieses Buch erzählt drei Geschichten. Alle drei Geschichten sind gut komponiert – und auch noch stark miteinander verwoben.
Autorin Rebecca Skloot erzählt erstens von Henrietta Lacks, einer schwarzen, armen Frau, der Anfang der 50er-Jahre Krebs-Zellen entnommen werden. Skloot erzählt, wie diese Krebs-Zellen eine medizinische Revolution auslösen, weil sie die allerersten Zellen sind, die im Labor einfach nicht aufhören wollen zu wachsen und damit bis heute billionenfach in der Wissenschaft eingesetzt werden.
Skloot erzählt zweitens die Geschichte der Familie von Henrietta Lacks, die über Jahrzehnte nichts davon weiß, dass die Zellen ihrer Mutter viele Menschen reich und berühmt gemacht haben – und zur Heilung zahlreicher Krankheiten beigetragen haben.
Und Skloot erzählt drittens ihre eigene Geschichte, die einer jungen Reporterin in ihren Zwanzigern, die über Jahre versucht, die Geschichte der Familie Lacks zu verstehen und die große Schwierigkeiten hat als junge weiße Frau aus der Großstadt, das Vertrauen dieser älteren, schwarzen, von Wissenschaft und Medien enttäuschten Menschen zu gewinnen.
Über diese drei verwobenen Geschichten gibt Skloot mir Einblicke in den historischen Rassismus der amerikanischen Medizin, in die Forschung mit Zellen und die Schwierigkeiten, die dieser Bereich lange hatte – und debattiert sehr interessant die Frage, wer von entnommenen Zellen und Gewebe eigentlich profitieren sollte. Die Pharma-Industrie? Die Ärzte? Die Patient:innen selbst? Und was bedeutet das, wenn die Patient:innen auf einmal über ihre Zellen und ihr Gewebe mitbestimmen wollen?
Das Buch ist auch auf deutsch und als Film erschienen.
Wo wir schonmal dabei sind… würde ich gerne noch vier weitere Bücher über Medizin und Medizingeschichte empfehlen. Zwei Klassiker sind die Bücher „The Emperor of All Maladies: A Biography of Cancer“ und „The Gene: An Intimate Story“ von Siddharta Mukherjee. Der Arzt beschreibt die Entwicklung der Krebs- beziehungsweise Genforschung anhand der entscheidenden Wissenschaftler:innen. Mir persönlich erzählt Mukherjee an manchen Stellen etwas zu viele Protagonist:innen, aber er bleibt dabei immer verständlich und interessant. Ich habe in beiden Büchern wahnsinnig viel über Krebs beziehungsweise Gene gelernt, sehr viel zugänglicher als ich es vor dem Lesen vermutet hätte. Für sein Krebs-Buch hat Mukherjee übrigens den Pulitzer gewonnen. Beide Bücher sind auch auf deutsch erschienen.
„Hidden Valley Road“ erzählt die unfassbare Geschichte einer Familie mit zwölf Kindern – und sechs davon sind schizophren. Autor Robert Kolker verknüpft dieses Schicksal meisterhaft mit der jahrzehntelangen Arbeit der Forscher, die an der Bekämpfung von Schizophrenie und ähnlichen Krankheiten arbeiten. Ein sehr spannendes, aber gleichzeitig auch ziemlich verstörendes Buch, kommt man dem ziemlich extremen Leid dieser Familie doch sehr nah.
Und zum Abschluss noch meine liebste Empfehlung, die gleichzeitig meine schmerzhafteste ist: „Five Days At Memorial: Life and Death in a Storm-Ravaged Hospital“. Autorin Sheri Fink rekonstruiert detailliert fünf lange Tage in einem Krankenhaus in New Orleans nach dem Hurricane Katrina und ergründet, warum dort in diesen Tagen überraschend viele (45) Menschen sterben mussten. Das Buch ist extrem detailliert recherchiert, wunderbar entlang der entscheidenden Protagonisten erzählt und wirft einen großen Haufen medizinethischer Fragen auf. Das letzte Drittel des Buches behandelt in etwa alle Fragen, die man an das Thema Triage stellen kann. Ich habe das Buch Ende 2020 gelesen, als wir alle so langsam begannen, uns hier mit Triage zu beschäftigen. Und hatte den ganzen Kopf voll mit Fragen an die Probleme, die in Deutschland auf uns zukommen könnten. Ich bereue bis heute, dass ich diese Fragen damals nicht priorisiert, recherchiert und sauber aufgeschrieben habe.
Diskutiert gerne mit mir auf Twitter oder in den Kommentaren über die Bücher – oder empfehlt mir weitere Bücher, die ich für dieses Jahr auf die Liste nehmen sollte. Einige Empfehlungen habe ich in den vergangenen Wochen bereits bekommen, an einer lese ich grad für einen der kommenden Newsletter.
Falls Euch „Sachbuchliebe“ gefällt, leitet diesen Beitrag gerne weiter – egal ob per E-Mail an Freunde oder in den sozialen Medien an die ganze Welt. Ich würde mich freuen.
Vielen Dank, viel Spaß beim Lesen und auf bald
Daniel
(PS: Hier findet Ihr nochmal ein paar Worte über die Idee dieses Newsletters und was Euch in den kommenden Ausgaben erwarten wird.)