Ein Fußballbuch als Portrait der 1970er-Jahre
Buchtipp: „1974: Eine deutsche Begegnung — Als die Geschichte Ost und West zusammenbrachte“
„1974: Eine deutsche Begegnung — Als die Geschichte Ost und West zusammenbrachte“ (405 Seiten von Ronald Reng, in 2024)
„Schauen wir neugierig auf verschiedene Menschen in ein und demselben Augenblick ihrer Zeit, etwa bei einem einzigartigen Fußballspiel, so merken wir nicht nur, wie individuell sie trotz gesellschaftlicher oder staatlicher Prägung lebten. Bestenfalls wird beiläufig auch die Zeit lebendig.“
Diese zwei Sätze schreibt Ronald Reng selbst gegen Ende seines Buches „1974“ und viel besser kann ich sein Buch kaum zusammenfassen. Ich bin ehrlich, normalerweise hätte ich dieses Buch nicht gelesen. Ich bin mäßig interessiert an Fußball. Und ich hatte keinen Bezug zum einzigen Länderspiel, das jemals stattgefunden hat zwischen West- und Ostdeutschland, bei der WM 1974, in Hamburg. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass man Bücher nach Autor*innen auswählen kann. Wenn ich weiß, wie gut ein Autor oder eine Autorin im Idealfall sein kann, wenn ich ein-zwei andere starke Bücher von ihm oder ihr gelesen habe, dann vertraue ich leichter und dann lese ich auch Bücher, die ich sonst nicht gelesen hätte.
Das ist bei Michael Lewis so (auch wenn ich beim letzten Buch über Bitcoin und Sam Bankman-Fried damit auf die Nase gefallen bin), das ist bei Bradley Hope so („Billion Dollar Whale“), das ist bei Julia Friedrichs so (die grad ihr neues Buch „Crazy Rich“ veröffentlicht hat). Das ist auch bei Ronald Reng so, dem wohl besten Fußball-Autor Deutschlands, von dem ich bisher „Robert Enke“, „Spieltage“, „Der große Traum“, „Der Traumhüter“ und natürlich das wunderbare „Mroskos Talente“ gelesen habe und noch nie enttäuscht worden bin. So ist es auch mit „1974 – Eine deutsche Begegnung“.
Rengs neuestes Buch ist ein leises und deshalb umso schöneres Portrait der 1970er Jahre. Es erzählt die Geschichte des Spiels, natürlich, aber es erschließt sich vor allem – in mehr oder weniger aufwändigen Schleifen – die damaligen Zustände im Osten wie im Westen, die Bedeutung dieser Begegnung, die Lebenswege der daran Beteiligten, nicht nur der Sportler, sondern von Menschen, die nur am Rande mit diesem Spiel zu tun hatten und für die es doch auf eine besondere Art wichtig war. Reng erzählt die Geschichten dieser Menschen und verwebt sie mit diesem einmaligen deutsch-deutschen Aufeinandertreffen, etwa von Menschen wie Schauspieler Matthias Brandt, von Bürgerrechtler und Stasi-Experte Roland Jahn, vom bekanntesten Fußballfan der australischen Nationalmannschaft, von einer kommunistischen Autorin. Am Ende hatte ich das Gefühl, die 1970er Jahre besser verstanden zu haben. Und Spaß hat es auch noch gemacht.
Vor einigen Wochen habe ich selbst ein narrativ erzähltes Sachbuch veröffentlicht, gemeinsam mit Lena Kampf: „Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie“. Wer diesen Newsletter und meine Arbeit unterstützen möchte, der kann das Buch (am besten im lokalen Buchhandel) bestellen.
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Vielen Dank, viel Spaß beim Lesen und auf bald
Daniel