Diktaturen beraten, ohne dafür gerade zu stehen
Buchtipp: "When McKinsey Comes to Town"
“When McKinsey Comes to Town — The Hidden Influence of the World’s Most Powerful Consulting Firm” (283 Seiten, von Walt Bogdanich und Mike Forsythe in 2022)
In den vergangenen 15 Jahren hat die Bundesregierung mindestens zwei Milliarden Euro für externe Berater ausgegeben (1, 2, 3). Zu Beginn des Jahres arbeiteten mehr als 100 Ex-Mitarbeiter der großen Beratungsunternehmen für Bundesbehörden. Und immer wieder steht auch in Deutschland ein spezielles Unternehmen im Verdacht, besonders bevorzugt behandelt zu werden: Die Beratungsfirma McKinsey.
McKinsey hat bei vielen Menschen noch immer einen guten Ruf. Ein Ruf, auf den die Firma stolz ist. Von Werten getrieben sei ihre Arbeit, behauptet McKinsey immer wieder von sich, sie sei anders als andere Beratungsfirmen. Der moralische Anspruch ist hoch. Die Realität sieht oft anders aus.
McKinsey arbeitet für korrupte Unternehmen in Südafrika, für Diktaturen in Saudi-Arabien und China und für die Schmerzmittel-Firma Purdue Pharma (über die es das herausragende Buch „Empire of Pain“ / „Imperium der Schmerzen“ gibt). McKinsey war auch Treiber der gescheiterten Privatisierung des britischen Gesundheitssystems und hat dafür gesorgt, dass amerikanische Versicherungskonzerne so aggressiv gegen ihre Kund*innen vorgehen, dass sie ihnen in den vergangenen knapp 30 Jahren mithilfe der von McKinsey erfundenen Tricks wohl mehrere hundert Milliarden Dollar vorenthalten haben.
Gleichzeitig musste McKinsey bislang für seinen Einfluss öffentlich kaum gerade stehen. Das Unternehmen hält Auftraggeber und Aufträge notorisch geheim.
Erst den beiden renommierten New York Times Journalisten Walt Bogdanich und Mark Forsythe ist es in aufwändigen Recherchen gelungen, umfangreiche interne Unterlagen über Auftraggeber, Inhalte und auch Honorare zu erhalten, auszuwerten, zu veröffentlichen.
Ihr vor wenigen Wochen erschienenes Buch zeigt: Die Liste der Auftraggeber von McKinsey ist lang und schmutzig. Und oft berät McKinsey auch noch auf auf beiden Seiten – auf Seiten der regulierenden Behörden und der Unternehmen, die versuchen, die Regulierung zu umgehen. So hat McKinsey über Jahrzehnte für hunderte Millionen Dollar die Zigarettenindustrie beraten und gleichzeitig für elf Millionen Dollar die zuständige Behörde FDA dabei unterstützt, Zigaretten zu regulieren – ohne der FDA über den Interessenkonflikt zu informieren.
Wer das über vier Jahre recherchierte Buch liest, fragt sich, wie überhaupt noch jemand auf die Idee kommen kann, McKinsey zu beauftragen.
Die Reporter bereiten verschiedenste fragwürdige Praktiken McKinseys anhand konkreter Beispiele, beteiligter Personen und Unterlagen auf. Auch wenn das Buch keine durchgängigen Protagonisten hat, ist es sehr gut erzählt. Und es macht anhand konkreter Beispiele deutlich, wie sich einzelne Berater*innen intern gegen die problematische Firmenkultur wehren.
Ein Beispiel für diesen internen Widerstand ist eine ausführlich beschriebene Szene, in der die jungen Berater erfahren, dass McKinsey die US-Anti-Immigrationsbehörde ICE dabei unterstützt hat, Flüchtende zu deportieren. McKinseys Spar-Empfehlungen an die Behörde waren so hart, dass selbst ICE-Mitarbeiter sie als zu krass empfanden: Die zuständigen Berater wollten etwa am Essen für die Flüchtenden sparen und die Kosten für deren medizinische Betreuung senken.
The Monday after the Washington meeting, Elfenbein added to his initial email, this time addressing it to far more colleagues – about twelve hundred – including Sneader [der “Global Managing Partner”, quasi: der Oberberater] and Liz Hilton Segel, the head of North America for the firm.
[…]
He laid out his recommendations in bullet points. Among them: a demand that McKinsey make a public apology for working for ICE and “stop saying we would do this work again.” Another: “Stop using legality as the barometer for ethicality.” On this, he was particularly biting, adding a parenthetical phrase: “If we helped southern states ‘improve agricultural asset yield’ in the 1850s would we still stand behind that? Our guidance so far would indicate the answer is ‘maybe’.”
He also wanted to give back any money in his paycheck that could be attributed to the work for ICE and set up a company email address, TakeItOutofMyPay@mckinsey.com, for his colleagues to attribute as well.
[…]
He pressed send.
“I felt like I was going to throw up.”
Elfenbein waited. Two minutes, maybe three minutes went by.
His phone rang.
On the line was a well-respected leader at the firm, who told him after years at McKinsey he had stopped being the person who stood up for his principles. Elfenbein’s email had moved him. Then he said, “Watch this.”
He wrote, “I’m with Scott. Take it out of my pay.” And hit reply all.
Hundreds followed his lead, writing to him from places around the world, including Germany, Ireland, the U.K., and Japan.
Das Buch ist parallel auch auf deutsch erschienen, unter dem (etwas einfallslosen) Titel „Schwarzbuch McKinsey“.
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Vielen Dank, viel Spaß beim Lesen und auf bald
Daniel
(PS: Hier findet Ihr nochmal ein paar Worte über die Idee dieses Newsletters und was Euch in den kommenden Ausgaben erwarten wird.)
Daniel, wie soll man das alles lesen wenn man berufsbedingt nicht für Recherche bezahlt wird!? :D Danke für den Tipp 📚
Ist schon auf der Liste!